Nummer 106 – das muss mein Zimmer sein. Zweckmäßig und hell eingerichtet ist es - ein Bett, ein Schreibtisch, ein kleiner Schrank, sogar ein kleines Bad. Allerdings: kein Fernseher, kein Radio und kein Telefon. Dafür der freie Blick auf die imposanten Glockentürme der Abtei und den kleinen Klostergarten. Das also ist meine Zelle für die nächsten vier Tage. 

Meine Schwägerin und ich haben es gewagt: Wir wollen uns bewusst aus der Hektik des Alltags herausnehmen und haben uns als Einzelgäste für eine Auszeit im Kloster angemeldet.  Wir wollen uns einlassen auf eine Welt, in der unser atemloser Alltag völlig irrelevant ist, und dadurch selbst zur Ruhe kommen, denn in den letzten beiden Jahren war Einiges geschehen, was uns beiden zu schaffen machte. Wir wollten eine Welt kennenlernen, in der nichts wichtiger ist, als sich auf die eigene Beziehung zu Gott zu konzentrieren. Die Abtei selbst beschreibt es so: „Die benediktinische Gastfreundschaft ist für alle offen, die auf der Suche nach Stille und innerer Einkehr sind. Hier können Sie einfach dasein, abschalten und zur Ruhe kommen.“

Das Gästehaus der Abtei Münsterschwarzach ist im November voll belegt. Gemeinsam mit einer Choralschola,  anderen Ordensleuten, die sich hier zu Tagungen treffen, und mehreren Einzelgästen, versammeln wir uns zu den fünf täglichen Stundengebeten mit den Benediktinermönchen in der Abteikirche.  Bereits um 5:05 Uhr beginnt der Tag mit den „Laudes“. Wir kämpfen uns dafür aus dem Bett und feiern in der Krypta noch vor Sonnenaufgang einen Abendsmahlsgottesdienst. Die meisten Gäste lassen sich offensichtlich auf die benediktinische Tageseinteilung ein – der Raum ist voll. 

Etwa alle drei Stunden läutet die Glocke zum Gebet, bis zum letzten Gottesdienst des Tages, der „Komplet“ um 19:35 Uhr. Mönche und Gäste unterbrechen, was immer sie gerade tun, und versammeln sich zum Stundengebet. Dieser immergleiche Rhythmus hat eine wunderbare Wirkung. Ich kann mich ganz auf die Vertonungen der Psalmgesänge einlassen und allmählich senkt sich eine wunderbare Ruhe auf mich. Wir müssen nicht an den Gottesdiensten teilnehmen, tun es dennoch, und bemerken nach kurzer Zeit, wie wohltuend dieses Gerüst ist. 

Im Gespräch mit den anderen Gästen lernen wir viele interessante und nachdenkliche Menschen kennen und dafür bleibt dann doch zu wenig Zeit. Die Mönche der Abtei leben nach der Benediktinischen Regel „ora et labora“ und eine direkte Begegnung ergibt sich nur mit denjenigen, die die Gäste betreuen, z.B. mit Bruder Jesaja. Er ist bei den Mahlzeiten dabei, spricht mit uns das Tischgebet und besitzt einen guten Schuss Humor. Gleich am ersten Abend beschließen wir, die Protestantin und der Benediktinermönch, einen neuen ökumenischen Orden zu gründen… 

Ich genieße die Freiheit, einmal ganz ohne Terminplanung zu sein und vertiefe mich in das Psalmodieren. Meine Schwägerin strickt eine Wolljacke für die kleine Enkelin. Nachmittags unternehmen wir Spaziergänge, besuchen den Klosterladen und sitzen abends in der Gästebibliothek noch ein wenig zusammen.  Unspektakulär, aber rundum wohltuend und ich merke, wie sich Geist und Seele erholen. Leider muss ich am dritten Tag wegen eines Infekts nach Hause zurückkehren, den ich besser zu Hause auskuriere- wie schade.  Ob ich mal wieder nach Münsterschwarzach gehe? Auf jeden Fall !

Carola Heuschkel-Kubis

 

Viele evangelische Kommunitäten, Bruderschaften und Schwesternschaften sind bereit, Menschen, die Erfahrungen mit dem verbindlichen Leben in einer geistlichen Gemeinschaft machen möchten, auf Zeit aufzunehmen. Weitere Informationen sind auf der Seite der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) zu finden.

https://www.ekd.de/glauben/spiritualitaet/kloster.html 

 

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